Sonntag, 21. Juni 2009

Gutachten Dr. Jörg Daur

Brandstifters „Werke“ sind nicht im „klassischen“ Sinne als Malerei oder Objekt/Skulptur zu begreifen. Vielmehr zeigt sich in seiner Kunst ein Ansatz der in unterschiedlicher Weise auf Tendenzen der Avantgarde des 20. Jahrhunderts rekurriert: Von Dada und Fluxus, bis hin zu Happening und Konzeptkunst finden sich zentrale Aspekte dieser stets mit dem Kunstbegriff ringenden Ansätze in seinen Arbeiten wieder.

Die gefundenen Objekte seiner „Asphaltbibliotheque“ sind mehr als verlorene Relikte einer Alltagskultur. Das Konzept einer imaginierten Bibliothek – also das Verstehen der Lebenswelt als Fundus versteckter, manchmal auch steckengebliebender Kommunikation – greift viel weiter aus, bis in die täglichen Prozesse von Verstehen, Wissensaneignung und dessen Übermittlung.

Durch das bewusste – und per Benutzerordnung, Leihschein etc. fast schon bürokratisch organisierte – Eingreifen in die Welt der kleinen bis geheimen Botschaften wird die Frage nach Urheber und Adressat gestellt. Kommunikation zum Selbstzweck steht neben präzisen Anweisungen, deren möglicher oder bereits eingetretener Verlust gravierende Folgen haben könnte.

Dazu kommt der demokratische Anspruch, die Aufforderung zur Teilhabe und Teilnahme; genau genommen schlicht zur Wahrnahme und Aufnahme des je schon Vorhandenen.

Brandstifter greift in seinen teilweise über Jahre angelegten Performance-Projekten Strukturen und Selbstverständlichkeiten des Alltags auf, lässt diese ins Leere laufen und damit also solche oft erst sichtbar werden. Dabei bleibt er nicht bei der Aktion, beim humoristisch-kritischen Happening stehen, sondern führt die jeweilige Grundidee bis ins Detail fort.

So erfährt der Betrachter, der meist zugleich Teilnehmer der Aktion ist, die ganze Tragweite der Absurdität der vorgeführten Situation. Die dennoch – wie im Kunstprojekt der „Eigenen Partei“ – zugleich eine konstruktive Fortschreibung mit aufscheinen lässt.

Die Idee der „Eigenen Partei“ widersetzt sich der Lähmung des Parteiensystems und der Problematik einer Vermittlung zwischen den Interessen des Einzelnen und der Gemeinschaft, indem sie jedem seine eigene Partei und damit Standpunkt und Artikulationsfläche anbietet. Jeder Teilnehmer erhält seinen Ausweis und stellt sein eigenes Programm auf. Die Vermittlung dieser Privatprogramme bietet jedoch gerade nicht die Partei, sondern erst die Überwindung des eigenen, nun gefundenen Standpunktes.

Das Spiel, das Brandstifter hier betreibt ist (ganz im Geiste von Fluxus) immer scharf an der Grenze zum absurden Theater. Dabei bewahrt er eine Ernsthaftigkeit im Umgang mit der Situation aber auch der verwendeten Gegenstände und Materialien, die den Teilnehmern immer wieder das amüsierte Lächeln aus dem Gesicht reißt. Er adaptiert Struktur und Material bereits im Alltag ritualisierter Situationen, etwa am Wahlstand oder beim Besuch eines Arztes oder (Seelen)Heilers.

So wird die Seele saniert und die entsorgten Altlasten können bequem im Einmachglas nach Hause getragen werden. Das magische Handeln des Heilkundigen wird beschworen, die Teilnahme auf der Couch erfordert Mut und ist doch letztlich wenigstens diesmal ohne Risiko – es fließt kein Blut, denn der Brandstifter heilt mit Kunst und nicht mit Skalpell und Hypnose.

Wo immer Brandstifter auftritt (oder besser eintritt) greift er Vorgefundenes auf und fügt Eigenes an, als Performer, als Akteur oder als Mitspieler. Seine hintergründigen Aktionen und Objekte entstehen im Dialog mit seinem Publikum, entwickeln sich aus der Situation. Ohne Kommunikation fände nichts statt – es gilt: der Künstler ist anwesend!

Die „rauschgiftengelloops“ entstehen im Augenblick, der Plattenteller wird zum Instrument des Künstlers. Der spielt und probiert die Rillen, lähmt die Zeit und treibt sie wieder an. Dazu drehen sich wunderbare Engel, in den Himmel entrückt: ein Bild für die Götter.

Der Wechsel zwischen den Welten, zwischen Bild, Ton und Aktion ist Kennzeichen der Arbeit von Brandstifter. Die Übergänge dazwischen beherrscht er fließend, sein Atelier endet nicht an der Zimmertür.

Sein kreatives Potentials lässt eine Förderung mehr als wünschenswert erscheinen.

9. September 2007

Dr. Jörg Daur, Kunsthistoriker, freier Kurator am Museum Wiesbaden

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